Epidemiologie
Der Anteil adipöser Menschen steigt weltweit dramatisch an. Man kann mittlerweile richtiggehend von einer epidemie- oder sogar pandemieartigen Ausbreitung dieser Erkrankung sprechen. Nach aktuellen Daten der WHO zu Folge sind in Deutschland ca. 21.3 % der Menschen adipös, d.h. sie weisen einen BMI von mehr als 30 kg/m2 auf.
Ab einem BMI von 35 kg/m2 spricht man von Adipositas Grad II, ab einem BMI von mehr als 40 kg/m2 von Adipositas Grad III. Die gesundheitlichen Folgen sind dramatisch, zahlreiche Nebenerkrankungen werden durch die Fettsucht verursacht, allen voran der Diabetes mellitus und kardiovaskuläre Erkrankungen. Aber auch verschiedene Krebsarten sind bei adipösen Menschen häufiger anzutreffen als bei Normalgewichtigen.
Dazu kommen massive ökonomische Auswirkungen durch höhere Gesundheitskosten und krankheitsbedingte Ausfälle. Für den Einzelnen bedeutet eine morbide Adipositas meist ein deutlicher Verlust an Lebensqualität, nicht selten soziale Ausgrenzung und die Konfrontation mit Vorurteilen. Der oft wahrscheinlich gut gemeinte Rat: „Esst weniger und bewegt euch mehr“, den sicher schon jeder Adipöse hören musste, ignoriert aber die Tatsache, dass dieser Ratschlag sicher eine gute Prävention der Adipositas darstellt, aber mitnichten eine wirksame Therapie. Ein Patient, der so übergewichtig ist, dass sich neben Belastungsdyspnoe auch starke Gelenkbeschwerden oder –degenerationen eingestellt haben, wird dieser Empfehlung nur bedingt folgen können.
Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft, in der wir uns immer weniger bewegen, harte körperliche Arbeit deutlich seltener geworden ist, sehr energiedichte billige Lebensmittel im Überfluss vorhanden sind und diese aggressiv beworben werden. All dies mag zum sprunghaften Anstieg der Adipositas beitragen, wie er seit den 70er Jahren in nahezu allen Industrie- aber auch Schwellenländern zu sehen ist.
Da die konservative Therapie mit ihrer eher geringen Wirksamkeit nicht geeignet ist, das Problem für die Mehrzahl der Patienten zu lösen, wurden operative Verfahren entwickelt, die die Anatomie und Physiologie der Nahrungsaufnahme so verändern, dass eine rasche und nachhaltige Gewichtsabnahme möglich wird.
In den Vereinigten Staaten von Amerika, die uns in der Entwicklung der Adipositas augenscheinlich etwas voraus sind, haben Eingriffe bei morbider Adipositas derart zugenommen, dass sie Gallenblasen- und Leistenbruchoperation als häufigste Eingriffe bereits überholt haben. Auch in Europa werden diese Eingriffe immer häufiger durchgeführt.
Voraussetzungen
Ein operativer Eingriff zur Reduzierung von krankhaftem Übergewicht stellt immer einen erheblichen Eingriff in die Anatomie und Physiologie des Körpers dar und hat mitunter entscheidenden Einfluss auf die Verdauung und Nahrungsverwertung. Dazu kommen die Risiken, die immer mit einem großen chirurgischen Eingriff verbunden sind. Daher sollte eine chirurgische Maßnahme nie als erste Option in Frage kommen sondern stets erst dann gewählt werden, wenn alle anderen Therapieansätze versagt haben oder keinen Erfolg versprechen. Die Operationen werden zur Zeit nicht standardmäßig von den Krankenkassen bezahlt, jeder Eingriff muss einzeln beantragt und begründet werden. Neben den medizinischen Kriterien, wann eine Operation sinnvoll ist, sind weitere Bedingungen zu erfüllen, damit die Krankenkasse die Kosten für eine solche OP übernimmt. Folgende Kriterien sollten erfüllt sein:
- Patienten sind zwischen 18 und 65 Jahre alt.
- Der BMI ist größer als 40 kg/m² oder der BMI ist größer als 35 und die Patienten leiden an Gesundheitsproblemen, die mit schwerem Übergewicht verbunden sind. Z.B. Diabetes, Gelenkprobleme, Herzprobleme oder Schnarchen mit regelmäßigem Aussetzen der Atmung (Schlafapnoe).
- Das Übergewicht besteht seit mehr als 5 Jahren.
- Es wurde ein multimodaler konservativer Therapieversuch über mehr als 6 Monate erfolglos durchgeführt.
- Die Patienten haben keine andere Krankheit, die für das Übergewicht verantwortlich sein könnte.
- Ausreichende Compliance
- Es liegt kein übermäßiger Alkoholkonsum vor oder gar Drogenabusus
Für einen ausreichenden konservativen Therapieversuch muss ein Behandlungskonzept Elemente aus den drei wichtigen Säulen Bewegung, Ernährung und Verhalten aufweisen. Die Therapieansätze aus diesen Teilbereichen müssen gleichzeitig und aufeinander abgestimmt erfolgen. Unterstützend können Medikamente eingesetzt werden. Jeder Therapieversuch, der nicht diese drei Säulen abdeckt, wird von den Krankenkassen als nicht ausreichend bewertet.
Operationsverfahren
In der Adipositaschirurgie, die auch als bariatrische Chirurgie bezeichnet wird, gibt es zwei Prinzipien von Operationsverfahren: Restriktive und malabsorptive sowie die Kombination aus beiden Prinzipien.
Restriktive Verfahren
Das Ziel dieser Verfahren ist die Reduzierung der Nahrungsmenge, die auf einmal aufgenommenen werden kann. Es soll so ein Sättigungsgefühl erzeugt werden, das schneller eintritt und länger anhält. Das klassische Beispiel einer solchen Operationsmethode ist das Schwedische verstellbare Magenband (SAGB).
Magenband
Das verstellbare Magenband wird in einer minimal-invasiven Operation mittels Bauchspiegelung um den oberen Teil des Magens gelegt, Über eine Portkammer kann es von außen mit Flüssigkeit gefüllt und somit enger gestellt werden. Größere Portionen können zu Erbrechen führen oder zur Ausdehnung der Speiseröhre. Geschieht dies zu oft, kann das Band seine Wirkung verlieren.
Schlauchmagen
Bei der Sleeve-Gastrektomie oder linkslateralen Magenresektion wird operativ ein großer Teil des Magens aus dem Körper entfernt. Dadurch wird ein Magenschlauch gebildet, in den wesentlich kleinere Mengen Nahrung passen als zuvor.
Damit ist die Funktionsweise in erster Linie eine restriktive, ähnlich wie beim Magenband. Beim „Sleeve“ kommt aber als Effekt hinzu, dass der Teil des Magens reseziert wird, in dem bestimmte Hormone gebildet werden, die für das Hunger- bzw. Sättigungsgefühl verantwortlich sind. Hierzu zählt z.B. das Ghrelin.
Somit ist der Effekt des Schlauchmagens nicht auf die Begrenzung der Nahrungsmenge beschränkt, das Hunger- ,Sättigungs- und auch das Geschmacksempfinden ändert sich, so dass ein zuverlässiger Gewichtsverlust eintritt.
Malabsorptive Verfahren
Bei diesen Verfahren wird die Verdauungsphysiologie so verändert, dass nur ein Teil der aufgenommenen Nahrung vom Körper resorbiert wird. Dadurch reduziert sich natürlich die Menge der aufgenommen Kalorien. Der Preis, den man dafür bezahlt, ist allerdings, dass in gleicher Weise schwere Vitamin-Mangelerscheinungen auftreten können sowie Fettstühle und extreme Flatulenz. Dies macht diese Operationen, zu deren klassische Vertretern die Biliopankreatische Diversion (BPD) gehört, zu Ausnahmeindikationen.
Magenbypass
Der klassische Vertreter dieser kombinierten Verfahren ist der Magenbypass. Dabei wird ein kleiner Teil des Magens als sog. Pouch vom Restmagen operativ abgegrenzt, der im Körper verbleibt. Auf diesen Vormagen wird ein Teil des Dünndarms anastomosiert, so dass das Duodenum und der proximale Anteil des Jejunums aus der Nahrungspassage ausgeschlossen und ein alimentärer Schenkel von einem biliopankreatischen Schenkel getrennt wird.
Die Verdauungsenzyme treffen erst spät an der Y-Roux-Jejunojejunostomie auf den Nahrungsbrei. Erst ab hier findet die Verdauung wie gewohnt statt. Da der alimentäre Schenkel, also der Teil, in dem Speisebrei ohne Verdauungsenzyme transportiert werden, ca. 150 cm lang ist, ging man früher von einer gewissen Malabsorption aus. Dies ist jedoch mittlerweile umstritten, zumindest bei dieser Länge des alimentären Schenkels.
OP-Video: Y-Roux-Magenbypass
1 Lagerung
- Der Patient wird in Steinschnittlage gelagert. Zu Beginn der Operation wird er in eine fast sitzende Position gebracht, damit die Operation im Oberbauch besser durchgeführt werden kann
- Eventuell müssen dafür Medikamente zur Kreislaufunterstützung gegeben werden
2 Trokarpositionierung & Leberretraktion
- Der Zugang erfolgt unter Kamerkontrolle mit einem Dissektionstrokar 21 cm unterhalb des Xiphoids
- Dabei können die einzelnen Schichten der Bauchdecke unter visueller Kontrolle durchdrungen werden
- Anschließend wird CO2 insuffliert, um ein Capnoperitoneum zu etablieren
- Der Operateur steht zwischen den Beinen des Patienten
- Die weiteren Trokare werden nach Probepunktion mit einer langen Nadel platziert. Dies soll Fehlplatzierungen der Trokare vermeiden, die die Operation erschweren würden
- Der linke Leberlappen ist bei der Operation im Wege, daher muss er über einen Leberretraktor nach oben weggehalten werden. Hierzu stehen verschiedene Retraktorsysteme zur Verfügung
3 Spalten des Omentum majus
- Der erste Schritt der OP besteht in einer Spaltung des Omentum majus
- Dies wird durchgeführt, da der Dünndarm später antekolisch zum Magen hochgezogen wird
- Um Zug an der Anastomose zur vermeiden, wird daher das große Netz bis zum Querkolon gespalten
4 Aufsuchen des Treitzschen Bandes
- Nach Spaltung des Omentum wird das Querkolon mitsamt seinem Meso nach kranial angehoben
- Das Treitzschen Bandes wird aufgesucht und somit der Beginn der intraabdominell gelegenen Dünndarms identifiziert
- Dieser Schritt ist essentiell, um die richtige Schlinge für die Anstomosierung auszuwählen
- Die spätere biliopankreatische Schlinge wird auf einer Länge von ca. 50-60 cm ausgemessen und mit einer Haltenaht am Magen fixiert
5 Fußpunktanastomose
- Nun wird ausgehend von der Haltenaht die alimentäre Schlinge ausgemessen. In ihr soll später nur die Nahrung transportiert werden ohne die Galle und die Verdauungsenzyme
- Die Länge der alimentären Schlinge wird auf ca. 150 cm ausgemessen. Es erfolgt eine weitere Haltenaht
- Nun wird in der alimentieren und der biliopankreatischen Schlinge je eine Enterotomie angelegt
- Die Fußpunktanastomose wird mit einem 60 mm langen Klammernahtgerät ausgeführt. Die Enterotomie wird anschließend fortlaufend übernäht
- Um einer späteren inneren Hernie vorzubeugen, wird der entstandene Mesoschlitz mit Titanklammern verschlossen
6 Präparation des Magenpouch
- Nun wendet sich der Operateur dem Magen zu und bildet den Magenpouch
- Dieser sollte nicht größer als 30 ml sein
- Als nächstes präpariert der Operateur kleinkurvaturseitig in die Bursa omentalis, um den Linearstapler hinter und vor den Magen einbringen zu können
- Vor Auslösen des Klammernahtgeräts muss sichergestellt sein, dass die Magensonde vollständig entfernt wurde
- Nach einem horizontalen Staplerschlag folgen vertikale Schläge bis zum vorpräparierten Winkel von Hiss
- Letztlich muss der Magenpouch vollständig vom Restmagen getrennt sein
7 Einführen des Stapler-Kopfs
- Die Gastrojejunostomie wird mit einem 25 mm Zirkularstapler ausgeführt. Dieser besteht aus zwei Teilen, dem eigentlichen Gerät sowie einem Gegendruckkopf
- Dieser kann mittels Magensonde über den Mund eingeführt werden
8 Gastrojejunostomie
- Um die Ösophagogastrostomie ausführen zu können, muss der Dünndarm eröffnet werden
- Hierüber wir der Stapler eingeführt, der Zentraldorn desselben ausgestochen und mit dem Staplerkopf im Magen verbunden
- Nun wird die Anastomose ausgelöst und der Stapler komplett entfernt
9 Dünndarmteilresektion
- Das für das Einführen des Zirkularstapler verwendete Dünndarmsegment würde eine funktionelle Kurzschlussverbindung zwischen oberer und unterer Anastomose darstellen
- Daher wird es freimobilisiert und mit dem Linearstapler reseziert
- Um eine Kontamination der Bauchdecken zu vermeiden, wird das resezierte Stück in einem Bergebeutel aus dem Abdomen entfernt
10 Verschluss Trokarinzision
- Zum Einbringen des Zirkularstaplers wurde der untere linke Zugang auf 26 mm aufgedehnt
- Um eine Bauchwandhernierung in diesem Bereich zu verhindern, wird die Bauchdecke an dieser Stelle vernäht
11 Blauprobe & Abschluss
- Um eine primäre Undichtigkeit der Anastomose auszuschließen, wird der Pouch mit Methylenblau-Lösung gefüllt. Beachten Sie, wie der Pouch sich bereits bei 30 ml Volumen stark füllt
- Um ein Torquieren der Gastrojejunostomie zu verhindern, wird die abführende alimentäre Schlinge mit einem resorbierbaren Faden am Restmagen fixiert
- Standardmäßig wird eine Robinsondrainage an die obere Anastomose gelegt
- Abschließend werden der Leberretraktor und die Trokare unter Sicht entfernt, das Pneumoperitoneum abgelassen und die Wunden verschlossen
OP-Schemazeichnung
Nach der Operation
Nach einer Magenbypassoperation verspüren die Patienten zunächst erst mal keinen oder deutlich weniger Hunger, das Geschmacks- und Geruchsempfinden ändert sich und es tritt ein sehr rascher Gewichtsverlust auf. Dies ist allerdings nicht alleine durch die Restriktion oder eine Malabsorption erklärbar. Erstaunlicherweise erhöht sich nach einer Magenbypassoperation trotz deutlich reduzierter Kalorienzufuhr der Gesamtenergieverbrauch des Körpers. Im Gegensatz dazu kommt es im Rahmen einer Diät bei reduzierter Energiezufuhr automatisch zu einer Absenkung des Grundumsatzes, was das weitere Abnehmen erschwert bzw. nach Beendigung der Diät zu einer raschen erneuten Gewichtszunahme führt.
Ein weiterer dramatischer Effekt ist in Bezug auf den Diabetes mellitus zu beobachten. Vermutlich durch die duodenale Exklusion und den frühen Kontakt der Speise mit dem distaleren Jejunum kommt es zu einer Reihe von humoralen Veränderungen, die die extreme Insulinresistenz durchbrechen kann. Viele Patienten, die vor der Operation hohe Dosen an Insulin benötigen, können diese deutlich reduzieren oder sogar gänzlich weglassen.
Dieser Effekt geht soweit, dass mittlerweile diskutiert wird, normalgewichtige bzw. nur leicht adipöse Diabetiker zu operieren, wenn sich der Diabetes auf konventionelle Weise nicht mehr einstellen lässt. Diese metabolische Chirurgie wird sich wahrscheinlich in Zukunft noch deutlicher durchsetzen, auch wenn momentan die Mechanismen hinter den Effekten nicht gänzlich verstanden sind.
Alle Operationen in der bariatrischen Chirurgie können heutzutage minimalinvasiv mit einem vertretbaren Risiko durchgeführt werden, Voraussetzung ist allerdings ein interdisziplinäres Zentrum, in dem alle beteiligten Fachdisziplinen an der konservativen Therapie, Indikationsstellung, Vorbereitung und Durchführung der Operation und vor allem auch an der lebenslangen Nachsorge der Patienten beteiligt sind. Zur Verhinderung von Mangelerscheinungen müssen die Patienten nach Magenbypass ein Leben lang Vitamine und Spurenelemente zusätzlich einnehmen, da diese im proximalen Gastrointestinaltrakt aufgenommen werden. Auch das Erkennen und Behandeln von anderen Komplikationen erfordert viel Erfahrung und Expertise.
Von der deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie wurden 2009 daher Richtlinien erarbeitet, nach dem sich Kliniken als Adipositaszentren zertifizieren können. Neben gewissen infrastrukturellen Voraussetzungen wird dabei ein Adipositas-erfahrenes Chirurgenteam und eine Mindestanzahl an bariatrischen Eingriffen gefordert.
Am Adipositaszentrum Würzburg werden seit 1997 morbid adipöse Patienten auch operativ behandelt.