Akutes Abdomen
Der Ausdruck „Akutes Abdomen“ ist ein durch Zeitmangel diktierter Begriff, der eine Abdominalerkrankung beschreibt, die einer sofortigen chirurgischen Intervention bedarf. Dementsprechend sorgsam sollte man diesen Begriff verwenden und nur dann von einem akuten Abdomen sprechen, wenn dies die Dramatik des Krankheitsbildes rechtfertigt.
Das akute Abdomen bedarf der unmittelbaren chirurgischen Intervention
Ansonsten spricht man von einem unklaren Abdomen, welches eben nicht sofort operiert werden muss, sondern durch weitere diagnostische Schritte abgeklärt werden kann.
Natürlich sollte in keinem Fall die Diagnostik die notwendige Therapie verzögern. Man sollte also den Zustand des Patienten sehr genau beobachten um die Schwere der Erkrankung möglichst genau einschätzen zu können. Neben dem ersten Eindruck ist aber auch der Verlauf der Beschwerden sehr wichtig, um bei einer plötzlichen Zustandsverschlechterung des Patienten sofort reagieren zu können.
Das Häufige ist häufig
Auch wenn bei einem akuten Abdomen auch immer an seltene Differentialdiagnosen gedacht werden muss, so gilt doch der Grundsatz: Das Häufige ist häufig.
Peritonismus & Peritonitis
Die Unterteilung eines akuten Abdomens in weitere Schweregrade hat eher akademischen Charakter. Die Übergänge sind fließend und es muss immer im Einzelfall abgeschätzt werden, ob Zeit für weitere Diagnostik ist, oder der Patient ohne unverzügliche Operation Schaden nimmt.
Das Vollbild eines akuten Abdomens ist gekennzeichnet durch einen Vernichtungsschmerz, Kreislaufschock und ein bretthartes Abdomen. Dies wird durch eine indirekte Aktivierung der gesamten Bauchmuskulatur durch eine peritoneale Reizung verursacht. Man spricht von Peritonismus.
Dieser Begriff darf nicht verwechselt werden mit Peritonitis, der Bauchfellentzündung. Diese kann zwar ursächlich sein, muss aber nicht in jedem Fall vorliegen.
Die Anamnese des Patienten kann erste Hinweise auf die Entstehung des akuten Abdomens geben. Eventuell kann der Patient den Schmerzcharakter beschreiben. Ein eher dumpfer, viszeraler Schmerz deutet auf eine Ursache in den parenchymatösen Organen hin. Spastisch kolikartige Schmerzen können von muskulären Hohlorganen verursacht werden. Ein brennend-schneidender Schmerz kann vom Peritoneum ausgehen.
Auch die Angabe eines wandernden Schmerzes kann wegweisend sein. Ein periumbilical begonnener, in den rechten Unterbauch wandernder Schmerz ist beispielsweise typisch wenn auch nicht beweisend für die Appendizitis. Ein Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme oder sonstigen Auslösern kann anamnestisch ebenso bedeutsam sein.
Der von periumbilical in den rechten Unterbauch wandernde Schmerz kann ein Hinweis für eine akute Appendizitis sein
Diagnostik
Die körperliche Untersuchung kann die Lokalisation des abdominellen Schmerzes näher eingrenzen. Es gibt spezifische Druckpunkte für die Appendizitis, die allerdings nicht zwingend auffällig sein müssen. Weder das Vorliegen eines solchen Druckschmerzes noch das Fehlen desselben schließt eine Appendizitis aus bzw. beweist sie.
Der Untersucher kann feststellen, ob es sich lediglich um einen Druckschmerz bei tiefer Palpation handelt oder ob er bereits bei leichtem Druck auf die Bauchdecke auftritt. Das Vorliegen einer lokalen oder generalisierten Abwehrspannung ist ein Zeichen für eine beginnende bzw. bereit fortgeschrittene Bauchfellentzündung. Dabei spannt der Patient reflektorisch die Bauchmuskulatur an. Das Vollbild dieser Abwehrspannung bezeichnet man als Peritonismus.
Die Gabe von Schmerzmitteln verändert das klinische Bild eines akuten Abdomens zwar, jedoch nicht in dem Maße, dass eine Operationsindikation eventuell nicht gestellt werden könnte. Daher sollten man Patienten mit akuten Abdominalschmerzen frühzeitig wirksame Analgetika verabreichen, auch wenn man den Patienten zur Indikationstellung noch einem weiteren Arzt vorstellen möchte.
Bestimmte Manöver können die Schmerzen des Patienten verstärken, z.B. das Beklopfen der Bauchdecken, ein kontralaterales Loslassen (Blumberg-Zeichen), das gegenläufige Ausstreichen des Colon-Rahmens (Rovsing-Zeichen) sowie der Psoas-Dehnungsschmerz bei Beugung in der rechten Hüfte gegen Widerstand. Die digital-rektale Untersuchung gehört im Übrigen genauso zur Befunderhebung eines akuten Abdomens wie die Kontrolle der Bruchpforten der Leisten.
Die Liste der Differentialdiagnosen ist lang. Grundsätzlich gilt natürlich: „Das Häufige ist häufig“. Das bedeutet, dass die unwahrscheinlichen Kolibri-Diagnosen zwar nicht außen vor bleiben dürfen, aber zunächst einmal an das Naheliegende gedacht werden sollte. In Westeuropa ist die Erkrankung, die am häufigsten ein akutes Abdomen verursacht, die Appendizitis mit über 50%. Gefolgt von der Cholezystitis und dem Ileus. Perforierte Magen- und Duodenalulcera sind durch den Einsatz von Protonenpumpeninhibitoren wesentlich seltener geworden. Neben Pankreatitiden und Erkrankungen des Dünndarms spielt natürlich auch die Divertikulitis eine wichtige Rolle.
Die Basisdiagnostik umfasst neben der Blutentnahme und der klinischen Untersuchung eine Röntgenaufnahme des Abdomens. Diese sollte im Stehen oder, falls dies nicht möglich ist, in Links-Seiten-Lage durchgeführt werden. Sie dient dazu, freie abdominelle Luft auszuschließen, die auf eine Hohlorganperforation hinweisen kann. Das Fehlen einer Luftsichel schließt allerdings die Perforation eines Hohlorgans nicht unbedingt aus.
In der Sonografie kann die Menge an freier abdomineller Flüssigkeit beurteilt werden. Außerdem lassen sich eventuell spezifische Zeichen einer Cholezystitis bzw. Cholezystolithiasis, einer Appendizitis, Erkrankungen der Adnexen sowie eventuell einer Nephrolithiasis oder Darmwandverdickung bei Divertikulitis erkennen.
Das Ziel der Basisdiagnostik sollte es sein, die Frage beantworten zu können, ob der Patient unmittelbar operiert werden muss, oder erst im Intervall, ggf. nach Abschluss weiterer Diagnostik.
Therapie
Die Therapie eines akuten Abdomens ist die unmittelbare Laparotomie bzw. Laparoskopie. Natürlich richtet sich die Operation immer nach der zu Grunde liegenden Krankheit. Eine akute Appendizitis lässt sich meist laparoskopisch behandeln, lediglich eine freie Perforation mit Peritonitis macht in der Regel eine Laparotomie notwendig. Wird trotz eindeutiger Klinik intraoperativ eine unauffällige Appendix vorgefunden, sollte immer nach einem Meckel-Divertikel gesucht werden. Dieses Residuum des Ductus omphaloentericus befindet sich immer antimesenterial am Dünndarm, ca. 80-100 cm vor der Bauhinschen Klappe. Da sich hier versprengtes Magen- oder Pankreasgewebe finden kann, ist es möglich, dass ein solches Divertikel eine Symptomatik wie eine Appendizitis verursacht. Liegt ein Meckel-Divertikel vor, kann dieses leicht mit einem Klammernahtgerät abgetragen werden.
Bei V.a. eine Hohlorganperforation sollte der Patient in Steinschnittlage gelagert werden, da möglicherweise von transanal eine Anastomose angelegt werden muss, falls es sich beispielsweise um eine Sigmaperforation handelt.
Mesenteriale Ischämie
Die Ursachen eines akuten Abdomens können vielfältig sein. Mit zunehmendem Alter ist eine Appendizitis als Ursache unwahrscheinlicher. Beim alten Patienten sind Durchblutungsstörungen des Darmes wesentlich häufiger als bei jungen Menschen. Sie machen einen Großteil der Fälle eines akuten Abdomens in dieser Altersgruppe aus.
Bei einer mesenterialen Ischämie handelt es sich um einen absoluten viszeral- und gefäßchirurgischen Notfall. Durch die Minderdurchblutung kann es zu einer Gangrän der Darmwand kommen. Dadurch kommt es zu einem Zusammenbruch der Barrierefunktion des Darmes. Die Folge ist eine Durchwanderungsperitonitis bzw. die Perforation eines Darmabschnittes.
Dies hat eine abdominelle Sepsis zur Folge und ist mit einer sehr hohen Letalität verbunden. Die häufigste Ursache ist eine Embolie der Viszeralarterien, auf Grund der anatomischen Konfiguration ist davon meistens die A. mesenterica superior betroffen. Je nach Größe des Embolus kann der Hauptstamm dieser Arterie betroffen sein oder nur ein Segmentast. Je weiter peripher das Gefäß okkludiert, desto weniger Darm wird in der Folge ischäm, was unmittelbaren Einfluss auf die Prognose hat. Kleinere Abschnitt des Dünndarms können problemlos reseziert werden, wenn sie ischäm oder gar nekrotisch sind.
Je ausgedehnter die Resektion jedoch ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient ein Kurzdarmsyndrom ausbildet. In der Regel ist hiermit ab einer Rest-Dünndarmlänge von 70-100 cm zu rechnen. Solange noch keine Gangrän eingetreten ist, sollte bei größeren ischämischen Abschnitten in jedem Fall eine Revaskularisierung mittels mesenterialer Embolektomie oder aorto-mesenterialer Bypassoperation versucht werden.
Eine weitere mögliche Ursachen einer mesenterialen Ischämie ist die Mesenterialvenenthrombose, oft auf dem Boden einer pAVK. Auch eine "Non-occlusiv-mesenteriale Ischämie" kann ursächlich sein, eine sog. NOMI. Da hierbei die Ursache in einem Gefäßspasmus liegt, besteht die Behandlung der Wahl aus der intravasalen Applikation von Spasmolytika und Vasodilatatoren.
Sie sehen hier CT-Bilder einer mesenterialen Ischämie. Gut zu sehen sind zwei typische Zeichen der mesenterialen Ischämie.
Am Darm erkennt man eine sog. Pneumatosis intestinalis. Diese Lufteinschlüsse in der Darmwand sind Ausdruck der sich dort abspielenden Nekrose. Dabei bilden sich auf Grund von Fäulnissprozessen und durch den Zusammenbruch er Darmbarriere Gasbläschen, die im CT sichtbar werden.
Da der Darm über das portalvenöse Stromgebiet in die Leber drainiert wird, sammelt sich dort ebenfalls die Luft an. Diese Lufteinschlüssen in den Verzweigungen der Pfortader nennt man Pneumoportogramm.