Oberschenkel
Proximale Femurfrakturen
Im Hüftgelenk artikuliert der Hüftkopf mit der Facies lunata des Acetabulum. Es ist von einer kräftigen Kapsel umgeben, diese umschlingt den Kopf-Schenkelhalsbreich strumpfartig vom Labrum acetabulare bis zum Trochanter major. Innerhalb dieser Kapsel verlaufen die sog. Epiphysenearterien aus der A. circumflexa medialis, aus denen sich ca. 90% der Durchblutung des Schenkelhalses und des Femurkopf speisen. Die restlichen 10% werden aus einem Gefäß der A. obturatoria, das im Lig. capitis femoris verläuft gespeist.
Der Winkel zwischen Schenkelhals und Femurschaftachse in der koronaren Ebene wird CCD Winkel (Caput-Collum-Diaphysenwinkel) genannt und beträgt zwischen 125 und 132°. In der axialen Ebene weist der Schenkelhals eine Antetorsion von ca. 12° gegenüber der Horizontalen auf. Beide Winkel müssen bei der Rekonstruktion von Frakturen beachtet werden.
Proximale Femurfrakturen stellen die dritthäufigste Frakturlokalisation dar. Die mediale Schenkelhalsfraktur und die pertrochantäre Femurfraktur sind typische Altersfrakturen, die bereits bei geringer Krafteinwirkung auftreten (Stolpersturz aus Körperhöhe). Beim Jungen Menschen sind diese Frakturen fast immer Folge von großer Krafteinwirkung.
Hüftkopffrakturen entstehen immer als Folge hoher Krafteinwirkung z.B. bei der sog. dashboard injury. Dabei findet bei angewinkeltem Knie- und Hüftgelenk ein Anprall der Knie auf das Armaturenbrett (dashboard) statt, dies führt, bedingt durch Trägheit des Oberkörpers, zu Abscherfrakturen des Hüftkopfes, zu Luxationen der Hüfte oder zu Frakturen des Acetabulums (Hüftpfanne).
Schenkelhalsfrakturen
Sie betreffen häufig ältere Patienten nach Stürzen aus Körperhöhe direkt auf die Hüfte. Klinisch wegweisend sind die Verkürzung und Außenrotationsfehlstellung des betroffenen Beines. Die Schmerzprojektion erfolgt in die Leiste und die aktive Beinhebung ist nicht möglich (ausgenommen impaktierte bzw. „stabile“ mediale Schenkelhalsfrakturen vom Typ Garden I).
Das Ausmaß der posttraumatischen Fehlstellung dieser intrakapsulären Frakturen ist ein wichtiger prognostischer Faktor für die Entwicklung einer Hüftkopfnekrose. Je höher der Dislokationsgrad und je länger die Fraktur zurückliegt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Hüftkopfnekrose. Bei einem Dislokationgrad Garden IV beträgt das Risiko für eine Hüftkopfnekrose 50%, während es 10% bei Garden I Frakturen sind.
Einteilung nach Pauwels
Pauwels | Winkel | typische Charakteristika |
---|---|---|
I | unter 30° | Abduktionsfraktur mit resultierender Valgusstellung/Einstauchung |
II | 30–50° | Adduktionsfraktur, >Varusstellung |
III | über 50° | Abscherfraktur mit Varusstellung |
Einteilung der medialen Schenkelhalsfraktur nach Garden
Typ I: Stabiler Abduktionsbruch in eingestauchter Valgusfehlstellung
Typ II: Nicht dislozierte Fraktur
Typ III: Teilweise Dislokation des distalen Fragmentes nach cranial, wobei noch ein partieller Fragmentkontakt am medialen Schenkelhals besteht; zusätzlich Varusfehlstellung und Retrotorsion des Kopfs
Typ IV: Vollständige Dislokation des distalen Fragments nach dorsal
Therapie
Für die Wahl der Therapie der Schenkelhalsfraktur ist die Anamnese entscheidend. Die prätraumatische Mobilität und Lebensführung, die Komorbiditäten, das biologische Alter, der Dislokationsgrad und das Alter der Fraktur entscheiden über die Wahl des Therapieverfahrens.
Kopferhaltene Therapie:
Beim jungen Patienten wird immer eine gelenkerhaltene Therapie angestrebt. Die dislozierte mediale Schenkelhalsfraktur des jungen Patienten stellt einen Gelenknotfall dar. Sie muss innerhalb von 6 Stunden versorgt werden, da sich mit fortwährender Dauer die Gefahr einer späteren Hüftkopfnekrose erhöht. Es wird die (geschlossene) anatomische Reposition auf dem Extensionstisch mit anschließender Osteosynthese durch eine 2-Loch DHS mit Antirotationsschraube oder (2-3 7,3mm kanülierten) Schrauben angestrebt. Im Anschluss an die Operation ist eine Teilbelastung (z.B. 20kg) für 12 Wochen einzuhalten.
Epiphysiolyse Kind
Kirschner-Drähte
Erwachsener
Spongiosaschrauben
Erwachsener
DHS
Endoprothetischer Ersatz
Bei Patienten, die eine Teilbelastung nicht mehr einhalten können, wenn höhergradige degenerative Veränderungen vorliegen oder Komorbiditäten, die den Lebenshorizont begrenzen oder eine dislozierte Fraktur länger als 24 Stunden besteht, sollte ein endoprothetischer Ersatz des Hüftgelenks erfolgen.
Dieser sollte innerhalb der ersten 24 Stunden nach Eintreten der Fraktur erfolgen, da bei Überschreitung dieses Zeithorizontes das Auftreten von Sekundärkomplikationen erhöht ist. Nach über 48 Stunden Wartezeit erhöht sich die Letalität der Patienten signifikant. Die Wahl des endoprothetischen Ersatzes, Hüft-TEP oder Hemiprothese (Synonyme: Duokopf, bipolare Prothese) erfolgt anhand patientenspezifischer Faktoren. Die Hemiprothese ist ein wenig belastender Eingriff und zeigt im Vergleich zur TEP geringere Luxationsration bei ähnlichen funktionellen Ergebnissen im mittelfristigen Verlauf. Sie stellt daher beim wenig aktiven und gesundheitlich beeinträchtigten Patienten (alte, multimorbide Patienten, bettlägerig, immobil oder nur noch mit Rollator und mühselig gehfähig, fehlende Koordination, kurzsichtig, schwerhörig, dement, diabetisch, unter Gerinnungshemmern stehend, im Heim lebend) das ideale Therapieverfahren dar.
Konservative Therapie/Prophylaktische Verschraubung
Ausnahmen sind die Pauwels I/Garden I Frakturen (=Abduktionsfrakturen), die prinzipiell in jedem Alter konservativ behandelt werden könnten, aber wegen der auftretenden Sekundärdislokation in bis zu 50% d. Fälle idealerweise kopferhaltend mit prophylaktischer Osteosynthese mittels DHS oder Verschraubung therapiert werden sollten. Dies ist kein Notfall, da die Durchblutung des Hüftkopfes nicht gefährdet ist. Die Versorgung sollte aber innerhalb von 24 Stunden durchgeführt werden. Im Anschluss dürfen die Patienten sofort voll belasten.
Pertrochantäre Femurfraktur/ intertrochantäre Femurfraktur/ subtrochantäre Femurfraktur
Diese proximalen Femurfrakturen haben eine hohe Inzidenz und sind typische Frakturen des alten Menschen. Sie machen etwa 50% der hüftgelenksnahe Frakturen aus und weisen ein Durchschnittsalter von etwa 80 Jahren auf. Beim jungen Patienten kommen sie nur nach grober Krafteinwirkung vor, während beim älteren Patienten Stürze aus Körperhöhe den häufistgen Unfallmechanismus darstellen. Klinisch geben die Patienten Schmerzen im Bereich des proximalen Femurs und der Leiste an, schmerzbedingt ist eine Belastung nicht mehr möglich, es kann sich ein verkürztes Bein analog zur medialen Schenkelhalsfraktur zeigen. Das Bein kann meist nicht mehr von der Untersuchungsliege abgehoben werden. Die Beckenübersichtsaufnahme und die axiale Aufnahme des Hüftgelenks reichen meistens aus und die Fraktur ausreichend zu beurteilen. Pertrochantäre Femurfraktur werden operativ versorgt um eine rasche Mobilisierung des Patienten zu ermöglichen und sekundäre Komplikationen (Tiefe Beinvenenthrombose, Lungenembolie, Dekubitalulzera, Pneumonie, Schmerzen) zu vermeiden. Die konservative Therapie hat keinen Stellenwert.
Es werden folgende Frakturen unterschieden:
Die hohe Mortalität der Frakturen erklärt sich durch Begleitmorbidität der Patienten. Patienten die eine Fraktur des proximalen Femurendes erleiden haben eine 6-fach erhöhte Mortalität im Vergleich zur altersentsprechenden Allgemeinbevölkerung. Die Frakturen sollten in einem Zeitfenster von 12 bis 24 Stunden versorgt werden, da bei zunehmender Immobilisierung die Mortalität weiter steigt. Das Risiko für das Erleiden eines thromboembolischen Ereignisses ist hoch, daher muss auf eine adäquate Thromboembolieprophylaxe geachtet werden.
Implantate und operative Versorgung
Zur operativen Versorgung werden die Patienten auf einen sogenannten Extensionstisch gelagert. So kann die Fraktur geschlossen über einen Zug und Rotation am Bein bei gleichzeitiger Abstützung des Beckens im Bereich des Perineums reponiert werden. Postoperativ dürfen die Patienten das Bein voll belasten.
Dynamische Hüftschraube (DHS)
Die dynamische Hüftschraube besteht aus einer lateralen Zuggurtungsplatte und einer gleitfähigen Kopfschraube. Sie gewährleistet eine ausreichende Stabilität bei stabilen pertrochantären Frakturen. Das Gleitvermögen der Kopfschraube ermöglicht eine Kompression auf.
Marknagel mit Gelenkkomponente
Marknägel zur Versorgung pertrochantäre Femurfrakturen werden über die Trochanterspitze eingebracht. Durch die intramedulläre Lage des Implantats wird ein geringerer Hebelarm zwischen Femurkopf und gewichtstragender Achse des Implantats als bei der DHS erreicht. Daher haben sie einen mechanischen Vorteil gegenüber der DHS und können auch bei instabilen pertrochantären Femurfrakturen ausreichend Stabilität gewährleisten.
Femurkopffrakturen
Frakturen des Hüftkopfes sind selten und immer ein Hinweis auf eine hohe Krafteinwirkung. In der Regel handelt es sich dabei um Abscherfrakturen im Rahmen von Hüftluxationen (10 % der hinteren Luxationen). Die Hüftkopffrakturen werden nach Pipkin eingeteilt:
I. Kalottenfraktur unterhalb der Fovea capitis femoris (außerhalb der Belastungszone)
II. Kalottenfraktur nach kranial der Fovea capitis reichend
III. Typ 1 oder 2 + mediale Schenkelhalsfraktur
IV. Typ 1 oder 2 + dorsokraniale Acetabulumfraktur
Während die Typ 1 Fraktur in der Regel konservativ behandelt wird, verlangen die anderen Frakturformen in der Regel eine individuelle Versorgungsstrategie. Der Zugang zum Hüftgelenk richtet sich dabei nach dem individuellen Frakturmuster, gegebenenfalls muss sowohl von hinten als auch von vorne zum Hüftgelenk vorgedrungen werden und es müssen zusätzliche Stabilisierungen des acetabulären Ringes durchgeführt werden. Diese Frakturen gehen mit einem hohen Nekrose-Risiko des Hüftkopfes einher und und damit dem Entstehen einer sekundären Arthrose.
Femurschaftfraktur
Die Femurschaftfraktur weist auf eine hohe Unfallenergie hin. Es müssen daher Begleitverletzungen ausgeschlossen werden. Bei der Behandlung der Femurschaftfraktur sollte, wie bei allen anderen Schaftfrakturen auch, die Länge, die Achse und die Rotation der Extremität wieder anatomisch hergestellt werden. Insbesondere im Rahmen von polytraumatisierten Patienten zeigt sich, dass die initiale Versorgung einer Femurfraktur mit einer schlechteren Prognose des Patienten einhergeht, hier sollte zunächst die temporäre Frakturstabilisierung mittels Fixateur externe durchgeführt werden (“damage control orthopedics”). Begleitende Bandschäden des Kniegelenks sind häufig, daher muss nach erfolgter Osteosynthese immer die Kniegelenksstabilität überprüft werden.
Als Implantate bei zur Versorgung einer Femurschaftfraktur kommen infrage:
Verriegelungsnagel
- Hauptimplantat zur Versorgung der Femurschaftfraktur
- Indikation: alle Frakturformen, alle Frakturen in den mittleren 4/6
- Prinzip: intramedullärer Kraftträger, neutralisiert durch die proximale und distale Verriegelung die Faktur gegen Rotation, Kompression, Distraktion, Achsabweichung. Das Implantat ermöglicht eine sogenannte Dynamisierung. Durch Besetzung einer Schraube in ein ovalen Lochs im Nagel kann der Nagel gleiten, und es kann durch die Belastung des Beines eine Kompression entlang des Implantates auf die Fraktur wirken. Dadurch kann die Frakturheilung beschleunigt werden. Insbesondere bei mehfragmentären Frakturen wird auf eine genaue Einrichtung der Fragmente verzichtet, diese bleiben im Verbund und es erfolgt keine Periost- oder Weichteilablösung.
Platte
Die Plattenosteosynthese am Femur kommt heute hauptsächlich bei Frakturen des distalen Drittel mit Gelenkbeteiligung und bei periprothetischen oder periimplantären Frakturen des Kniegelenks oder bei einliegender Hüftendoprothese (Voraussetzung fester Sitz der Hüftendoprothese) zum Einsatz. Die Platten sind in der Regel winkelstabil und können über Zielhilfeinstrumente minimalinvasiv mit nur geringer Ablösung der Weichteile eingebracht werden.
Fixateur externe
Der Fixateur externe kommt bei schwersten begleitenden Weichteilschäden, Überrolltrauma, Explosionsverletzungen etc. zum Einsatz. Er dient als Wechselimplantat bei infizierten oder instabilen Situationen. Wie oben bereits erwähnt kommt er in der Akutversorgung des polytraumatisierten Patienten im Rahmen des “damage control orthopaedics” zum Einsatz.