Akute Extremitätenischämie (AEI)
Bei der akuten Extremitätenischämie handelt es sich um ein plötzliches Perfusionsdefizit von Armen oder zumeist Beinen (in 85% der Fälle), welches unmittelbar oder dringlich behoben werden muss.
Bis zu zwei Wochen nach Erstereignis wird von einer akuten Ischämie gesprochen.
Die klinische Symptomatik ist durch die sogenannten „6 Ps“ nach Pratthinlänglich beschrieben: pain (Schmerz), paleness (Blässe), pulselessness (Pulslosigkeit), paraesthesia (Minder/Missempfinden), paralysis (Lähmung) und prostration (Schock). (Pratt GH, Krahl E (1954) Surgical therapy fort he occluded artery. Am J Surg 87 (5): 722-729)
Infolge der unterschiedlichen Ischämietoleranz entsteht ein Schaden an Nerven (nach ca. 2-4h), Muskulatur (nach ca. 6-8h) und Haut (nach ca. 12h).
Die Genese einer akuten Extremitätenischämie kann vollkommen unterschiedlich sein und Klinik, Diagnostik, Art der Therapie und Therapiezeitpunkt bestimmen.
Neben der arteriellen Embolie z.B. als Folge eines nicht therapierten Vorhofflimmerns kommen z.B. auch die arterielle Thrombose auf dem Boden einer vorbestehenden pAVK (oder eines Poplitealaneurysmas mit chronischer Embolisation), postrekonstruktive Komplikationen, z.B. der Verschluss eines im Vorfeld angelegten femoro-poplitealen Bypasses durch eine Anastomosenstenose, Dissektionen und Gerinnungsstörungen in Betracht.
Wie oben angedeutet, kann die klinische Beschwerdesymptomatik in Abhängigkeit der Genese der Ischämie völlig unterschiedlich ausfallen:
So kann der embolische Verschluss eines vormals vaskulär gesunden Beines bei dem Patienten/der Patientin
mit einer akuten, starken Schmerz- und Beschwerdesymptomatik einhergehen (z.B. das klassische „kalte Bein“ als Folge eines embolischen Verschlusses bei Vorhofflimmern bei einer alten Dame, die ihr Marcumar nicht eingenommen hat). Die betroffene Extremität hat in diesem Zusammenhang keine Reservekapazität und ist bislang nur eine normale Durchblutung „gewöhnt“ (darauf hindeuten können z.B. tastbare Pulse auf der nicht betroffenen Gegenseite); die Perfusionsunterbrechung macht sich unmittelbar und stark schmerzhaft bemerkbar.
Anders beim chronischen pAVK-Patienten, bei dem sich die arterielle Strombahn quasi akut-auf-chronisch im Sinne einer Thrombosierung bei hochgradiger Arteriosklerose verschliesst: hier fällt die Symptomatik oftmals milder aus, die Extremität hat mit der Zeit –gewöhnt an die schlechte Durchblutung- Kollateralkreisläufe (z.B. über die Arteria profunda femoris) ausgebildet, die die Symptomatik milder erscheinen und mehr Zeit für Diagnostik und Therapie lassen können.
Essentiell ist eine gezielte, zügige und kritische Anamneseerhebung, um herauszuarbeiten, ob eine pAVK schon vorbesteht (Claudicatio? Ruheschmerzen? Bypässe? Angiographien etc. im Vorfeld?). Dazu ist eine gezielte Inspektion der Extremität essentiell (vorbestehende Ulcera? Zugangsnarben für Bypässe? Atrophie von Muskulatur? Amputationen? etc.).
Diagnostik
Die klassische Basisdiagnostik beim Verdacht auf Vorliegen einer akuten Ischämie besteht aus der Überprüfung und Dokumentation von Durchblutung, Motorik und Sensibilität.
Die palpatorische Erhebung des Pulsstatus ist essentiell. Hierbei können unmittelbar Rückschlüsse auf die Lokalisation des Verschlusses gezogen werden. Ergänzt durch die Dopplersonographie mit der Stiftsonde kann die Qualität des Signals beschrieben werden (z.B. postokklusiv monophasisch) oder evaluiert werden, ob überhaupt noch ein arterielles oder venöses Strömungssignal vorliegt.
Die Basisdiagnostik kann durch die schnell verfügbare, kostengünstige und schonende farbkodierte Duplexsonographie (FKDS) ergänzt werden, mit der nahezu alle wichtigen Informationen eingeholt werden können.
Im klinischen Alltag ist es manchmal schwierig zu entscheiden, ob noch Zeit für weiterführende Diagnostik besteht (z.B. die Durchführung einer CT-Angiographie oder MR-Angiographie) oder ob der Patient/ die Patientin unmittelbar der Therapie zugeführt werden sollte.
Z.B. kann das Warten auf eine CT-Untersuchung zu diagnostischen Zwecken in manchen Fällen Extremität und Leben des Patienten noch mehr gefährden. Ferner kann auch weiterführende Diagnostik schlichtweg unnötig sein: besteht bei dem Patienten/der Patientin (wie z.B. der oben beschriebenen alten Dame) anamnestisch kein Hinweis auf eine vorbestehende pAVK (Anamnese wichtig!) und liegt gleichzeitig eine perakute, heftige Klinik vor, erübrigt sich oft die Frage nach einem CT präoperativ und die Therapie besteht z.B. in der Notfall-Embolektomie transfemoral oder -popliteal. Demgegenüber kann eine operative Intervention ohne vorhergehende Diagnostik ungeahnte Ausmaße
annehmen, wenn es sich z.B. nicht nur um den einfachen, embolischen Verschluss eines originären Gefäßes handelt, welcher mittels Katheter embolektomiert werden kann, sondern z.B. schon der 2. Bypass implantiert wurde, der nun wieder verschlossen ist.
Eine sinnvolle Entscheidungshilfe stellt hier die Schweregrad-Einteilung nach Rutherfordfür die akute Extremitätenischämie dar: die Erhebung von Sensibilität, Motorik sowie arteriellen und venösen Dopplersignale lassen hier eine Einteilung in 3 Kategorien zu. Demnach erfolgt letztlich eine Einteilung in eine inkomplette oder komplette Ischämie, und Rückschlüsse auf die Möglichkeit zur Bildgebung oder die Notwendigkeit zur sofortigen OP oder gar Amputation können gezogen werden (Rutherford RB, Baker JD, Ernst C, Johnston KW, Porter JM, Ahn S, Jones DN (1997) Recommended standards for reports dealing with lower extremity ischemia: revised version. J Vasc Surg 26:517-538).
Das Notfalllabor sollte neben Blutbild, Gerinnung, Nierenwerten und CRP auch Muskelenzymparameter wie Myoglobin, LDH, CK und das TropT (als Prognoseparameter) enthalten, um Rückschlüsse auf einen bereits eingetretenen oder zu erwartenden Muskelschaden oder eine potentielle Nierengefährdung (Stichwort „crush-Niere“) ziehen zu können.
Ein EKG kann Rhythmusstörungen (insbesondere Vorhofflimmern) als Genese eines embolischen Verschlusses aufzeigen.
Therapie
Als Erstmaßnahmen bei Vorliegen einer akuten Ischämie sollten die Tieflagerung und Wattepolsterung der betroffenen Extremität, eine systemische Vollheparinisierung, eine ausreichende Analgesie (schmerzbedingte Vasokonstriktion kann die Perfusion weiter verschlechtern!) und ggf. die Verordnung von Prostaglandin-E1-Analoga (z.B. Prostavasin i.v.) erfolgen.
Die Form der operativen und interventionellen Therapie ist vielfältig und richtet sich nach der Genese und dem morphologischen Bild der Ischämie.
Als klassische Notfall-Operation ist die transfemorale Ballon-Kathetergestützte Embolektomie zu nennen. Nach Freilegung und Anzügeln der Femoralgefäße werden diese zumeist quer arteriotomiert und können mithilfe des „Fogarty Katheters“ nach zentral (wenn kein Zustrom besteht) und peripher „geputzt“ werden.
Venenbypass
Über eine transpopliteale Freilegung können die Unterschenkelarterien selektiv und die Arteria femoralis superficialis oder Bypässe ggf. retrograd embolektomiert werden. Eine histologische Aufarbeitung des so gewonnenen Embolus/Thrombus ist sinnvoll und sollte immer angestrebt werden. Zur Sicherheit kann der Fogartykatheter auch angiographisch kontrolliert drahtgeführt (als sog. „over-the-wire“ oder „true-lumen-Fogarty“) und die Operation im Sinne einer Hybridoperation mit angiographischer Kontrolle durchgeführt werden. Hier kann eine Kombination mit sämtlichen Angioplastie-Methoden oder z.B. einer lokalen oder systemischen Lysetherapie erfolgen.
Im Falle atherothrombotischer, langstreckiger Verschlüsse kommen die herkömmlichen Bypassverfahren in Betracht.
Mittlerweile liegen auch spezielle endovaskuläre Kathetersysteme vor, die auch ältere Verschlüsse (hydro)mechanisch eröffnen können.
Eine besondere Herausforderung stellt die akute Ischämie auf dem Boden eines thrombosierten Poplitealarterienaneurysmas dar. „PAAs“ neigen zur chronischen Embolisation mit starker Vorschädigung der cruro-pedalen Ausstrombahn. Eine Kombination von offener und endovasculärer Chirurgie, speziellen Stents, Thrombolytika und Wiedereröffnungskathetern kann hier sinnvoll sein.
Bei der Therapie der akuten Ischämie ist immer an die potentielle Entwicklung eines Kompartmentsyndroms zu denken. Ggf. ist die simultane, prophylaktische Kompartmentspaltung (geschlossen oder offen mit Kunsthautdeckung (z.B. Epigard)) der vier Unterschenkelkompartimente zu erwägen.
Im Falle eines schon diagnostizierten irreversiblen Gewebsdefektes kann es primär notwendig sein, Teile der Extremität zu amputieren. Ausgedehnte Revaskularisationsversuche können hier durch die Freisetzung von Radikalen und Entzündungsmediatoren den Patienten oder die Patientin gefährden.
Die Kompartimente des Unterschenkels